WIE DU DISTANZ ZU DEINEN GEDANKEN SCHAFFST

Kennst Du das Gefühl, morgens aufzuwachen und direkt von Deinen Gedanken überrannt, von ihnen mitgerissen, in einen Strudel gezogen zu werden, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt? Obwohl sie in uns stattfinden und zu uns gehören, denken wir meist unfreiwillig und fühlen uns unseren Gedanken ausgeliefert. Vor allem, wenn es sich dabei um Sorgen handelt und wir uns Zukunftsszenarien ausmalen, weil unser Verstand meint, vorhersehen zu können, was morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr eintreten wird. Wenn wir gedanklich mit jenen Dingen beschäftigt sind, die wir nicht wollen, löst das entsprechend unangenehme Gefühle in uns aus und kann ein schwarzes Loch in uns erschaffen, in dem jegliche Lebensfreude und Zuversicht verschluckt wird. Gleichzeitig kann es natürlich helfen, zu wissen, was Du nicht (mehr) möchtest. Der entscheidende Part ist dann, nicht in dem ‘Nicht-Wollen’-Modus stecken zu bleiben, sondern den gewünschten Zustand daraus abzuleiten und sich darauf zu konzentrieren. Aber nochmal zurück.

Deine Gedanken erschaffen Deinen Gefühlszustand

Ist Dir schon mal aufgefallen, dass es Tage gibt, wo gestern noch alles ok war und heute, obwohl der Tag nicht anders verlaufen ist als der gestrige, die Sonne genauso scheint, Du in der gleichen Wohnung wohnst, am gleichen Schreibtisch sitzt, es sich also objektiv von Außen betrachtet nichts verändert hat, Du heute aber ziemlich missmutig und deprimiert bist? 

Mir hilft dabei dieses fiktive Szenario, wenn es in mir drin gerade mal wieder ’stürmt‘: wenn jemand eine Kamera in meiner Wohnung installiert hätte und mich in genau diesem Moment beobachten würde oder wenn weit entfernte Außerirdische sich ein Bild von der Menschheit machen wollten und ich ihr Forschungsobjekt wäre, dann würden sie mich in meinem Moment meiner inneren Unruhe in meinem Zimmer am Schreibtisch sitzen sehen und von Außen betrachtet wäre für sie kein Grund erkennbar, warum es mir gerade schlecht gehen sollte. Es ist kein anderer Mensch in meiner Nähe, es hält mir niemand eine Pistole an dem Kopf, die Welt geht in diesem Moment nicht unter, ich habe noch Geld auf meinem Konto und ein Dach über meinem Kopf. Dieser Gefühlszustand ist also aus mir selbst heraus entstanden, ohne irgendein unmittelbares äußeres zutun.

Der erste Schritt, Dich aus Deinem Gedanken-Gefängnis zu befreien, ist also zu begreifen, dass es in den meisten Fällen nicht Dinge im Außen sind, die uns auf eine bestimmte Art fühlen lassen, sondern unsere Gedanken und Bewertungen zu gewissen Situationen und Umständen. Und das erfordert wiederum, sich erst einmal darüber bewusst zu werden, welche Gedanken durch Deinen Verstand rauschen und wie sie Dich fühlen lassen. 

Lerne Distanz zu Deinen Gedanken zu schaffen und sie zu beobachten

Falls Du Dich jemals in Meditation versucht hast, kennst Du bestimmt die Frustration, weil es Dir nicht gelungen ist, das erklärte Ziel des Nicht-Denkens zu erreichen. Für mich ist Meditation vor allem ein Tool, um mir bewusst zu werden, wann und wie oft ich ins Denken verfalle, ohne dies überhaupt zu wollen und mich dabei zu erwischen, wenn gerade wieder Gedanken aufkommen, die im Begriff sind, mich davonzutragen. Es geht für mich im ersten Schritt darum, eine Distanz zum Denken, den eigenen Gedanken, zum Denker in mir zu schaffen, mich nicht mehr mit meinen Gedanken zu identifizieren, zu erkennen, dass ich nicht meine Gedanken bin, sondern sie die meiste Zeit ein eigenwilliges Eigenleben führen.

Tipp

Wenn Du das so liest, stellt sich Dir dann auch die Frage “Wenn ‘ich’ es nicht bin, die denkt, wer zur Hölle denkt dann diese Gedanken in meinem Kopf?”. Diese Frage führt für diesen Artikel etwas zu weit, da ich es gerne praktisch halten möchte. Aber ich kann Dir dazu Eckhart Tolle ans Herz legen, der diese Frage meiner Meinung nach am besten beantwortet.
PS: Ich habe ein paar Jahre gebraucht um meinen Zugang zu Eckhart zu finden, aber als ich in meiner Entwicklung und in meinem Verständnis weit genug war, ist Eckhart für mich vom Freak zum absoluten Genie geworden.

Als ich mich zum ersten Mal wirklich an Meditation herangewagt habe, habe ich die App Headspace verwendet: In ihrer Basic-Reihe konzentrierst Du Dich vor allem auf Deinen Atem und hast damit (zusätzlich zum Sprecher der geführten Meditation) einen Ankerpunkt, zu welchem Du immer wieder zurückkehren kannst, wenn Du bemerkst, dass Du von Deinen Gedanken davon gespült wurdest. Es ist wie ein Muskel, den Du trainierst. Nach ein paar Wochen ist mir dann zum ersten Mal auch außerhalb der Meditation aufgefallen, dass ich z.B. auf dem Weg zur S-Bahn überhaupt nicht präsent, sondern komplett in Gedanken verloren war – völlig unbewusst und unfreiwillig – bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich dabei ‘erwischt’ habe und mir dessen bewusst wurde.

An dieser Stelle würde ich gerne kurz klären, von wo Du eigentlich ‘weggespült’ wirst: Aus dem Hier und Jetzt. Du hast sicherlich schon hunderte Mal gehört “Lebe im Hier und Jetzt!” Aber was bedeutet das eigentlich? Hattest Du schon mal einen Moment, in dem Du einen Sonnenauf-/untergang, (D)ein Haustier oder (D)ein Baby einfach beobachtet hast und davon fasziniert warst? Da waren keine Gedanken, Du warst einfach nur präsent in diesem Moment. Obwohl die Probleme, Sorgen und Herausforderungen Deines Lebens theoretisch unverändert da waren, haben sie in diesem Moment (gedanklich) keinen Raum eingenommen und somit für diesen Moment für Dich nicht existiert. Hier und Jetzt sitzt Du vermutlich gerade auf einem Stuhl, Sessel, auf der Couch oder liegst im Bett und liest diesen Beitrag. Jetzt gerade geht die Welt nicht unter. Jetzt gerade führst Du kein schwieriges Gespräch mit jemandem. Jetzt gerade hast Du ein Dach über dem Kopf und noch etwas Geld auf dem Konto oder im Geldbeutel. Wenn Dir also nicht jetzt gerade ausgerechnet jemand eine Waffe an den Kopf hält, dann bist Du jetzt gerade sicher. 

Vergangenheit und Zukunft sind Konstrukte des Verstandes

Wenn Du es schaffst, Dir das einmal wirklich bewusst zu machen, dann wirst Du erkennen, dass die allermeisten Sorgen damit zu tun haben, dass Dein Verstand sich mit Vergangenem oder Zukünftigem beschäftigt. Also was bereits passiert ist und nicht mehr geändert werden kann (außer Deine Einstellung dazu) und was noch nicht passiert ist und auch nicht zu 100% sicher ist, ob es wirklich passieren wird. Wenn Du Dich JETZT an der Nase kratzt, dann ist das JETZT etwas, das Du in der Vergangenheit getan hast. Denn der Moment ist schon wieder vergangen. Das heißt, Dein Leben ist eigentlich nur eine Ansammlung von Jetzt-Momenten und Du existierst immer nur im Jetzt. Dein Körper kann nur im Jetzt Emotionen oder Schmerzen verspüren und Sinneseindrücke verarbeiten. Nur Dein Verstand kreiert aufgrund seines linearen Denkens ein ‘Das war’ (ich erinnere mich daran) und ‘Das wird sein’ (ich projiziere etwas voraus). Heißt, Vergangenheit und Zukunft sind Konstrukte des Verstandes (und wir brauchen sie z.B. um uns verabreden zu können oder uns auf ein bestimmtes geschehenes Ereignis beziehen zu können). Wenn Du Dich von Deinen Gedanken davontragen lässt, befindest Du Dich (= Dein Bewusstsein, Deine Aufmerksamkeit) also nicht mehr im Hier und Jetzt (außer vielleicht es handelt sich um Bewertungen Deines Verstandes bzgl. eines Jetzt-Zustandes). Dein Körper jedoch ist immer im Hier & Jetzt, er kann gar nicht irgendwo anders sein. Deswegen wird der Körper und Deine Sinne auch gern für Meditationen eingesetzt, um Dich ins Hier und Jetzt zu bringen. Du atmest im Jetzt. Du hörst Geräusche im Jetzt. Du spürst den Boden unter Deinen Füßen oder die Fläche, auf der Du sitzt, im Jetzt.

Tipp

Eine Technik, die bei mir ganz wunderbar funktioniert, um mich aus zwanghaftem Denken ins Hier & Jetzt zu bringen, ist, mich auf drei Sinne gleichzeitig zu konzentrieren: Atme zuerst zwei, dreimal tief ein und jeweils mit einem Seufzer wieder aus. Schüttel Dich ggf. einmal kurz aus. Dann suchst Du Dir einen visuellen Punkt in Deiner Umgebung, auf dem Deine Augen ruhen können. Kein fixes Starren, sondern eher ein softes ‘Darauf hängen bleiben’. Dann aktivieren wir Deinen Gehörsinn, indem du Dich auf Geräusche in Deiner Umgebung konzentrierst. Und zu guter Letzt führst Du Deine Aufmerksamkeit auf den Kontaktpunkt zwischen Deinen Füßen und dem Boden, Deinem Hintern und der Sitzfläche oder dem Stoff Deiner Kleidung und Deiner Haut. Das versuchst Du nun ein paar Minuten aufrecht zu halten. Du wirst merken, dass zwei Sinne noch machbar sind, aber dass es Dir kaum gelingt, Dich auf alle drei Sinne gleichzeitig zu konzentrieren und Du beginnst zwischen den Sinne hin und her zu switchen. Das ist auch vollkommen ok so. Es erfordert Deine volle Aufmerksamkeit und führt dazu, dass für Gedanken kaum noch Platz ist.

Wenn Du von diesem Platz aus dann beginnst einfach nur aufmerksam in Dich hineinzuhören, dann fällt es Dir auch leichter, den Moment zu erwischen, an dem der erste Gedanke sich wieder einschleicht und um was für einen Gedanken es sich handelt. Es ist ein Prozess, der Wiederholung erfordert, um einen Fortschritt zu bemerken, genauso wie man nach einem Fitnessstudiobesuch nicht direkt ein Sixpack hat. Mach es zu Deiner Gewohnheit, genauso wie das Zähneputzen oder Duschen. Das Schöne bei der oben genannten Übung: Du kannst sie überall machen. Ab sofort gibt es keine Ungeduld mehr, während Du an der Ampel oder im Stau stehst, auf die Bahn oder den Aufzug wartest. Jede Minute davon ist ein Geschenk, um Dich zu zentrieren, ins Hier und Jetzt zu bringen und zu beobachten, was gerade in Dir vorgeht.

Lerne Dich nicht mit Deinen Gedanken zu identifizieren

Nachdem ich immer öfter Momente hatte, in welchen ich mir bewusst wurde, dass meine Gedanken mich mal wieder davongetragen haben, hat ein Prozess begonnen, der mich grundsätzlich auch die Art meiner Gedanken und Gefühlszustände hat beobachten und hinterfragen lassen. Du merkst, wie Dein Verstand schon morgens, direkt nach dem Aufwachen, versucht Dich mit einem ‘Du musst dies tun und Du musst das tun’ (oder er spricht in der ‘Ich’-Form mit Dir) direkt in den Stress-Modus zu versetzen. Du kannst beobachten, wie Dein Verstand um etwas kreist, das gestern passiert ist und er es einfach nicht loslassen will. Du stellst fest, dass da gerade ein trotziges und verletztes kleines Kind in Dir wütet, dass die andere Person beschuldigen oder beschimpfen möchte. Und Du wirst merken, dass Dein Verstand durchaus auch damit beschäftigt ist, Dinge, die im Hier und Jetzt geschehen, zu be- und verurteilen.

Es entsteht sozusagen ein ‘Gap’, eine Lücke, die es Dir ermöglicht, Deine Gedanken während sie passieren zu beobachten und Dich nicht sofort und automatisch hineinziehen zu lassen, so dass Du zu Deinen Gedanken wirst. Da ist eine Distanz, die eine Entscheidungsmöglichkeit schafft. Du hast plötzlich die Wahl, nicht sofort gemäß Deiner Gedanken zu handeln und ihren Inhalt nicht einfach als ‘die Wahrheit’ zu übernehmen. 

Was Dir ebenfalls helfen kann, ist, Deinem Verstand einen Namen zu geben, um ihn dadurch als einen Teil von Dir zu sehen, der seine Meinungen, Ideen und Ansichten hat und diese auch recht lautstark vertritt, der aber nicht der Kapitän des Schiffes ist. Das eröffnet Dir die Chance, Deinem Verstand auch mit Humor zu begegnen, wenn er Dir gerade mal wieder versucht einzureden, dass die Welt untergeht, wenn Du nicht dieses oder jenes noch schnell erledigst. In diesem Zusammenhang möchte ich Dich auch auf das fantastische Wissen des Human Design Systems aufmerksam machen. Das unterstützt Dich nämlich ganz konkret und individuell auf Dich abgestimmt darin, herauszufinden, wie Dein Verstand versucht Dein Leben für Dich zu lenken und es zeigt Dir, wie Du stattdessen für Dich stimmige Entscheidungen triffst.

Dein Gefühlszustand als Indikator für vorangegangene Gedanken

Desto bewusster Du Dir wirst, desto mehr beginnst Du auch den Zusammenhang zwischen der Art Deiner Gedanken und Deinem Gefühlszustand zu verstehen. Je nachdem, ob Deine Gedanken sich auf einen (von Dir) erwünschten oder unerwünschten Zustand beziehen, verursachen sie angenehme oder unangenehme Gefühle in Dir. Das bedeutet, selbst wenn Du noch nicht soweit bist, Deine Gedanken zu beobachten und rechtzeitig zu intervenieren, bevor Du unangenehme Gefühle verspürst, hast Du dennoch die Möglichkeit, deinen Gefühlszustand als Indikator zu nutzen, um Dich zu fragen, welche Gedanken und Bewertungen sind diesem Zustand vorausgegangen? Und genau dieses Fühlen findet wiederum im Hier und Jetzt statt. Das bedeutet, auch auf diesem Wege hilft die oben genannte Übung, um Dir über Deinen Gefühlszustand bewusst zu werden und das Pferd sozusagen von hinten aufzuzäumen. 

Perspektivwechsel

Eine letzte Übung, die ich Dir noch mitgeben möchte, um Dich wieder zu ‘kalibrieren’, wieder ‘auf den Boden der Tatsachen’ zu holen, wenn Deine Gedanken mit Dir durchgehen, ist folgende:

Wenn Du abends im Dunkeln den Mond siehst, dann mach Dir klar, dass das nicht einfach eine leuchtende Scheibe am Himmel ist. Das ist eine dreidimensionale Kugel (welche gerade aus einer bestimmten Richtung von der Sonne angestrahlt wird), die im Universum schwebt, genauso wie der Boden, auf dem Du gerade stehst, zu einer dreidimensionalen Kugel, genannt Erde, gehört, die ebenso im Universum schwebt.

Das heißt, Du stehst also auf einer Kugel und schaust gerade nicht in den Himmel, sondern Du blickst von Deinem Punkt im Weltall zu einem anderen Gegenstand im Weltall. Und währenddessen umkreist Du mit 108.000 Kilometern pro Stunde die Sonne und diese umkreist, gemeinsam mit Dir (und den anderen Planeten unseres Sonnensystems), mit 827.200 Kilometern pro Stunde die Milchstraße (unsere Galaxie). Erscheint Dir nicht auch jeglicher Gedanke, der Dir gerade monströse Probleme einreden will, etwas unwichtiger, durch diese Betrachtungsweise?

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